Ein Perspektivwechsel in der Diskussion um die rechtlichen Grenzen von Legal-Tech Inkassodienstleistern.
Als vormaliges Mitglied der Präsidialabteilung des Amtsgerichts Hamburg, die für die Aufsicht von Inkassodienstleistern zuständig ist, bereichert RiAG Dr. Malte Hartmann als Praktiker die fortwährende Diskussion über das Verhältnis von Legal-Tech-Inkassodienstleistern zu den Grenzen des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) in der NZM 2019, 353 um aufsichtsrechtliche Aspekte.
Das Jahr 2019 steht in der juristischen Fachliteratur, so wird mit sich fast überschlagenden Aufsätzen, Beiträgen, Kommentaren und Urteilen bereits zur Jahreshälfte deutlich, im Zeichen der rechtlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Legal-Tech und unterstreicht damit zugleich, dass Legal Technology ernst genommen wird.
Das fortwährende Streitthema “Was darf ein Legal-Tech-Unternehmen, das als Inkassodienstleister auftritt?” ist dabei nicht nur rein rechtstheoretischer Natur sondern betrifft maßgeblich die Frage, ob vom Legal-Tech-Unternehmen vorgenommene Rechtsgeschäfte gem. § 134 BGB nichtig sind, weil diese nicht mehr von der Inkassolizenz gem. § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG umfasst sind. Die Folge wäre eine zur Klageabweisung führende fehlende Aktivlegitimation und damit zugleich das Ende von einigen Legal-Tech-Geschäftsmodellen. Zu einer ausführlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema sei auf den exzellenten Beitrag von Kilian verwiesen, den wir hier vorgestellt haben.
Das Argument von Befürwortern der Legal-Tech-Geschäftsmodelle im Hinblick auf aufsichtsreichliche Erwägungen : die verwaltungsrechtliche Inkassolizenz habe konstituierende Wirkung und stehe der Annahme einer Nichtigkeit entgegen. Denn die Prüfungskompetenz, ob die Tätigkeit noch von der Inkassolizenz umfasst und damit erlaubt ist, stehe der Aufsichtsbehörde – und nur dieser – zu. Mit Feststellung der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts aufgrund eines Verstoßes gegen das RDG würde sich das Gericht eine ihm nicht zustehende Prüfungskompetenz der Aufsichtsbehörde anmaßen. Selbst wenn ein Verstoß gegen das RDG vorläge, dürfe dies deshalb nicht zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führen.
I. Nicht geprüft, nicht im Tatbestand
Hartmann tritt dem von Römermann geäußerten Schluss, dass das Gericht an die Tatbestandswirkung der Inkassolizenz gebunden sei, mit einem starken Argument entgegen:
Eine Bindungswirkung an einen Umstand, den die Behörde gar nicht geprüft hat und welcher der Registrierung nicht zugrunde liegt, kann aber nicht angenommen werden.
Dr. Malte Hartmann
Die Voraussetzungen der Registrierung als Inkassodienstleister beschränken sich gem. § 12 RDG nämlich auf die nachzuweisende Sachkunde, die gewerbliche Zuverlässigkeit und eine Berufhaftpflichtversicherung. Das jeweilige Geschäftsmodell ist jedoch nicht vom Prüfungsumfang umfasst, sodass insoweit auch keine Bindungswirkung bestehen könne.
II. Aufsichtsmittel – zu langsam, zu streng
Zusätzlich verweist Hartmann auf praxisrelevante Erwägungen, die gegen den formalen Verweis auf die bestehende Erlaubnis als Sperre des § 134 BGB sprechen.
Der Widerruf einer Erlaubnis ist an die in § 14 RDG normierten Voraussetzungen geknüpft. Diese sind – um der grundrechtlichen Relevant des Art. 12 GG gerecht werden zu können – hoch. Verbotene Ausreißer und Einzelfälle bei der ausgeübten Inkassotätigkeit können damit nicht ohne Weiteres zu einem Widerruf führen, seien sie auch noch so krass. Würde man jedoch auch in diesen Fällen eine ‘verwaltungsrechtliche Akzessorietät” annehmen wollen, die dazu führt, dass die Rechtsgeschäfte nicht nichtig sind, so hält er dies für ein unbilliges Einzelfallergebnis.
Zudem sei das sich teilweise über Jahre hinstreckende Widerrufsverfahren ein ungeeignetes Mittel, um effektiv den Verstößen gegen das RDG Einhalt gebieten zu könne. Es wäre jedoch bei dubiösen Inkassodienstleistern unbillig, die verbotenen Rechtsgeschäfte bis zum rechtskräftigen Widerruf der Erlaubnis als wirksam anzusehen.
III: Der selbstregulatorische Wettbewerb
Hartmann führt noch einen weiteres Argument gegen die Bindungswirkung der Inkassolizenz für Zivilgerichte ins Feld: Die Feststellungsfähigkeit von wettbewerbswidrigen Geschäftspraktiken. Eine Bindungswirkung wird dort nämlich nicht angenommen.
Es sei jedoch nicht ersichtlich, weshalb ein Zivilgericht bei wettbewerbsrechtlichen, nicht jedoch bei anderweitigen Rechtsstreitigkeiten die Tätigkeit selbst anhand des RDG prüfen können soll. Hartmann verweist hierzu auf die Erwägungen in der Bundestagsdrucksache:
Demgegenüber hat die Vergangenheit gezeigt, dass die Kontrolle unerlaubter Rechtsberatung im Bereich des Wettbewerbsrechts durch Klagen von Rechtsanwälten und Rechtsanwaltskammern oder konkurrierenden Inkassounter- nehmern wirksam ist.
BT-Drs. 16/3655, 44.
IV: Stellungnahme
Dass Hartmann aus Sicht eines Praktikers schreibt, führt zu praxisnahen und damit leicht nachvollziehbaren Erwägungen, allerdings stellenweise auf Kosten einer sauberen dogmatischen Begründung. So ist die in vielfältigsten Rechtsgebieten bemühte Unbilligkeit im Einzelfall kein überzeugendes Argument, um systematische Zusammenhänge – hier verwaltungsrechtliche Inkassolizenz vs. zivilrechtliche Nichtigkeitserwägungen – aufzeigen zu können.
Auch ein zeitintensives Widerrufsverfahren ist ein Argument, das dem Bereich des Faktischen zuzuordnen ist und damit ebensowenig zu einer rechtssystematischen Begründung beitragen kann. Zwar ist eine Abstraktion bis zur “Ineffektivität des Rechtsstaats” denkbar, allerdings hat Hartmann hier böswillige und dubiose Inkassodienstleister im Blick, die wiederum einen Einzelfall darstellen und deshalb erneut keine systematische Argumentation unterstützen können. Böswilliges oder missbräuchliches Verhalten als systemwidrige Randerscheinung innerhalb eines Regelungssystems ist auch bei einer rein praktischen Betrachtung von geringer Relevanz, nimmt der Autor für seinen Aufsatz keine “Moskau Inkasso” – Skandale sondern die Tätigkeit von Mietrecht, wenigermiete & Co. zum Anlass.
Deutlich überzeugender sind die Ausführungen zum selbstregulatorischen Wettbewerb. Unstreitig dürfte sein, dass Inkassodienstleister, die Dienstleistungen außerhalb des im RDG normierten Umfang anbieten oder durchführen, wettbewerbswidrig handeln und deshalb abgemahnt werden können. Diese Abmahnung kann wiederum von Zivilgerichten geprüft werden, was eine gerichtliche Prüfung erfordert, ob die abgemahnte Tätigkeit außerhalb des vom RDG zugestandenen Tätigkeitsbereich lag und damit wettbewerbswidrig war. Dort wird eine konstituierende Wirkung der Inkassolizenz also gerade nicht unterstellt was somit inkonsequent wäre. Tatsächlich sind diese Erwägungen nur schwer zu entkräften. Man könnte auf die unterschiedliche Intensität zwischen wettbewerbsrechtlicher Abmahnung und der Nichtigkeit abstellen oder zwischen der inhaltlichen Tätigkeit und Wettbewerbstätigkeit differenzieren. Dies ist jedoch wenig überzeugend und leicht angreifbar.
Stärkstes Argument dürfte der Prüfungsumfang der Aufsichtsbehörde sein. Eine Tatbestandswirkung kann sich nicht über die Lebensbereiche erstrecken, die überhaupt nicht von der Prüfung umfasst waren. Einschränkungen wären in den Bereichen denkbar, in denen die Aufsichtsbehörde in Kenntnis des Geschäftsmodell die Erlaubnis erteilt und damit zum Prüfungsumfang gemacht hat. Denn Hartmann stellt dar, dass das Amtsgericht Hamburg als Aufsichtsbehörde bereits im Vorfeld eine Inkassolizenz verweigert hat, weil der Geschäftsmodell den Umfang der Inkassolizenz überschritten habe. Dann muss für den umgekehrten Fall – Kenntnis des Geschäftsmodells und Erteilung der Erlaubnis – selbiges gelten.
Der Autor, Tim Platner, ist Geschäftsführer der Legal Data Technology GmbH.