Am 16.10.2019, hat der 8. Senat des Bundesgerichtshofs für Zivilsachen in der mit Spannung erwarteten Rechtssache der LexFox GmbH (“wenigermiete.de“) verhandelt und bereits erste Tendenzen im Bezug auf die Vereinbarkeit mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz angedeutet.
Es ist – das betonte die Vorsitzende Milger bereits zu Beginn unter dem Eindruck der vielen Besucher und Kamerateams – ein mit Spannung erwartetes Verfahren, dessen sich der Senat auch, dies betonte Milger, bewusst sei. Nachdem Bilder für die Presse durch die vor Ort anwesenden Kamerateams gemacht worden sind, eröffnete die Vorsitzende die Verhandlung und wies bereits zu Beginn auf die Möglichkeit hin, das Verfahren aufgrund anderer Umstände – es wurde u.a. auf die von der Revisionsbeklagten geltend gemachte Unbestimmtheit des Klageantrags hingewiesen – zu erledigen. Der Senat betonte jedoch ausdrücklich, dass er aufgrund einer Vielzahl an zu erwartenden Verfahren mit ähnlichen Rechtsfragen der grundsätzlichen Bedeutung dieser Fragen Rechnung tragen und diese in dem Verfahren “wenigermiete.de” entscheiden werde.
Den detaillierten Sachverhalt, über den der BGH zu entscheiden hat, finden Sie hier.
Die Vorsitzende betonte vorsorglich ausdrücklich, dass ausschließlich die Rechtsfragen des konkreten Falls beurteilt und entschieden werden und die Erwartungen an eine Grundsatzentscheidung nicht überspannt werden dürften. Nach einer ausführlichen Darstellung des Sachverhaltes bat der Senat um den Parteivortrag hinsichtlich der für- bzw. widersprechenden Argumente für die eine bzw. andere Rechtsauffassung. Die Revisionsklägerin (LexFox GmbH), vertreten durch Herrn Prof Dr. Matthias Siegmann, eröffnete ihr Plädoyer unter Hinweis auf die grundsätzliche Bedeutung eines effektiven Verbraucherschutzes unter Bezugnahme auf die vom Gesetzgeber geschaffene Musterfeststellungsklage. Die von der 63. Zivilkammer des Landgerichts Berlin problematisierte Haupt-Rechtsdienstleistung des Onlinerechners wurde von der Revisionsklägerin – jedenfalls in der mündlichen Verhandlung – ohne weitere Begründung nicht als Rechtsdienstleistung eingeordnet. Prof Dr. Matthias Siegmann verwies hierzu vergleichend auf einen Online-Rechner der Deutschen Rentenversicherung, mithilfe diesem Rentenansprüche berechnet werden könnten.
Die Revisionsbeklagte führte hingegen an, dass die Konstellation – Onlinerechner und anschließende Geltendmachung der Forderung – mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz unvereinbar sei und stellte den Unterschied zum angeführten Online-Rechner der Deutschen Rentenversicherung heraus: der DRV-Rechner führe im besten Fall zu einem gewöhnlich zu stellenden Rentenantrag. Der von der LexFox GmbH betriebene Onlinerechner ziele hingegen darauf ab, Kunden zur Durchsetzung von Ansprüchen im Rahmen der Inkassotätigkeit zu “ködern”.
In der weiteren Verhandlung wurden u.a. die von den Parteien vertretenen Rechtsauffassungen hinsichtlich einer aus dem Verstoß gegen das RDG ggfs. resultierenden Nichtigkeit der Abtretung nach § 134 BGB näher dargelegt. Der Beklagtenvertreter Prof. Dr. Patrick Schmidt wies darauf hin, dass zur effektiven Durchsetzung des Rechtsdienstleistungsgesetzes als Schutzgesetz sowie zum Schutz des Rechtsverkehrs die Nichtigkeit der Abtretung die Rechtsfolge sein müsse und betonte, dass es bei der Beurteilung der Nichtigkeit nicht auf eine mögliche Einzelfallgerechtigkeit als oberste Prämisse ankäme sondern diese lediglich ggfs. eine Korrektur im Einzelfall erlaube.
Prof Dr. Matthias Siegmann führte hingegen – wie wir bereits in der Erarbeitung des Aufsatzes von Herrn Dr. Dr. Morell dargestellt haben – auf die sich aus der Nichtigkeit ergebenden Wertungswidersprüche hin, die zulasten und nicht zugunsten des Rechtssuchenden gingen.
Argumentativer Dreh- und Angelpunkt für die weniger dogmatische sondern vielmehr rechtstheoretische Argumentation war das “rationale Desinteresse” des Verbrauchers an der risikobedingt unwirtschaftlichen Durchsetzung geringwertiger Klein- und Kleinstforderungen.
Das rationale Desinteresse lässt sich als “Gesetzes-Telos” auch den Erwägungen in den Gesetzesmaterialien zur Musterfeststellungsklage entnehmen:
“In einem durch standardisierte Massengeschäfte geprägten Wirtschaftsleben hinterlassen unrechtmäßige Verhaltensweisen von Anbietern häufig eine Vielzahl gleichartig geschä- digter Verbraucherinnen und Verbraucher. Gerade wenn der erlittene Nachteil im Einzel- fall gering ist, werden Schadensersatz- oder Erstattungsansprüche oft nicht individuell verfolgt, da der erforderliche Aufwand aus Sicht des Geschädigten unverhältnismäßig erscheint („rationales Desinteresse“). Kommt eine Einigung der Parteien – etwa im Rah- men der außergerichtlichen Streitschlichtung – nicht zustande und sehen die Betroffenen von einer Klage ab, verbleibt der unrechtmäßig erlangte Gewinn bei dem Anbieter, der hierdurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber rechtstreuen Wettbewerbern erzielt.”
Die Einschätzung des Bundesgerichtshofs
Der Senat des Bundesgerichtshofes wies bereits im Vorwort darauf hin, dass es sich um eine herausfordernde Thematik handele, über die der Senat bereits im Vorfeld intensiv beraten habe und auch im Nachgang dieses Verhandlungstermins noch beraten werde. Der Bundesgerichtshof lies jedoch bereits an einer Stelle eine Tendenz erkennen:
Aus den äußerst umfassenden Gesetzgebungsunterlagen im Rahmen der Änderung des Rechtsberatungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz im Jahr 2008 ließe sich insbesondere vor dem Hintergrund der 2002 und 2004 ergangenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts entnehmen, dass der Gesetzgeber eine restriktive Auslegung des Rechtsberatungs- und nunmehr Rechtsdienstleistungsgesetztes nicht beabsichtigt habe. Ausgehend von einem klassischen Inkasso-Geschäftskonzept und unter Berücksichtigung des Geschäftsmodells, über das das Bundesverfassungsgericht geurteilt hat, sei das Rechtsdienstleistungsgesetz jedenfalls neuen Geschäftsmodellen nicht prinzipiell verschlossen.
Als Extrembeispiel – dies kann bei der Suche neuer Legal Tech-Geschäftskonzepte insoweit bereits als unzulässig ausgeklammert werden – wurde die Rechtsberatung durch Inkassounternehmen im Rahmen eines Scheidungsverfahrens genannt, nur um anschließend Zugewinnausgleichsanprüche durchsetzen zu können. Ein solches Geschäftsmodell würde die Grenzen der im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Ansprüchen zulässigen Rechtsberatung durch Inkassounternehmen sprengen.
Zum Schluss des Verhandlungstermins wurde im Hinblick auf § 2 RDG noch die, in den Schreiben von “wenigermiete.de” mit aufgenommene Forderungsabwehr als Punkt für die Grenzen der Rechtsdienstleistungen von Inkassounternehmen thematisiert. Die Vorsitzende wies darauf hin, dass die von der LexFox GmbH erbrachte Rechtsdienstleistung unter Berücksichtigung des “rationalen Desinteresses” zu einer Chanceneröffnung führe, da die angebotenen Leistungen risikofrei sind. Bei einer Forderungsabwehr hingegen drohe der Verlust der eigenen Rechtsposition durch eine unqualifizierte Rechtsverteidigung. Insoweit scheint der Senat differenzieren zu wollen.
Wenngleich sich die Verfechter der Legal-Tech-basierten Geschäftsmodelle verständlicherweise eine positive Tendenz im Bezug auf die Vereinbarkeit der Geschäftsmodelle mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz wünschen und – dies lässt sich stellenweise den Beiträgen auf Twitter entnehmen – den Verfahrenserfolg fast herbeizuschreiben versuchen, so ist eine Tendenz noch nicht mit Sicherheit zu erkennen.
Fest steht nur – und dies betont gerade zu mustergültig das regulative Dilemma, in dem Legal-Tech-Unternehmer aktuell stecken – dass die diffizilen Abgrenzungsfragen und -schwierigkeiten nicht nur für die Unternehmer eine Herausforderung darstellen und eine erste, grundlegende höchstrichterliche Entscheidung umso erforderlich machen.
Der Verkündigungstermin für dieses Urteil ist auf den 27.11.2019 um 12.00 Uhr terminiert.
Der Autor, Tim Platner, ist Geschäftsführer der Legal Data Technology GmbH.