Der Einzelanwalt als Kollateralschaden der Digitalisierung?
Der Deutsche Anwaltstag 2019 ist zu Ende gegangen und mit ihm unzählige Beiträge und Diskussionen über das omnipräsente Thema Legal Tech, denn auch die anwaltlichen Berufsverbände haben die für den eigenen Berufsstand weitreichende Entwicklungen der digitalen Transformation erkannt. Es liegt in der Natur der Sache eines Berufsverbandes, die Interessen des eigenen Berufsstands zu vertreten und zu wahren. Ein argumentatives Schwergewicht für anwaltliche Interessenverbände ist dabei die Stellung ihrer repräsentierten Berufsträger als “Organ der Rechtspflege”, die es zu bewahren und vor nicht-anwaltlicher Konkurrenz zu schützen gilt, um rechtsstaatliche Grundsätze bewahren zu können.
Als Gefahr wird die wirtschaftliche Verdrängung der klassischen Einzelanwälte und -kämpfer durch spezialisierte Legal-Tech-Unternehmen ausgemacht, die Kleinkanzleien mit einer Mischkalkulation an Mandaten wettbewerbsuntauglich werden ließen. Die Folge sei der Verlust einer unabhängigen Rechtsberatung als “Wert an sich”.
Wenngleich die unterstellte Kausalität zwischen nicht-anwaltlicher Konkurrenz einerseits und der Erosion rechtsstaatlicher Grundsätze andererseits durchaus diskussionswürdig ist, wird sich im Folgenden auf die Hypothese, dass Einzelkämpfer gegenüber Legal-Tech-Unternehmen nicht mehr behaupten können, konzentriert. Dabei werden gleich zwei Prämissen unterstellt.
- Legal-Tech-Unternehmen stehen in einem Wettbewerb zu Rechtsanwälten bei dem Angebot von Rechtsdienstleistungen.
- Legal-Tech-Unternehmen verdrängen Einzelanwälte.
1. Legal-Tech vs. Einzelkämpfer?
Die reduzierte und zugleich uneingeschränkte Gegenüberstellung von Positionen mag ein dramaturgisch geeignetes Mittel zur viel bemühten “Veranschaulichung” von Sachverhalten sein, für eine sachgerechte Analyse bedarf es jedoch einer deutlich nüchternen und differenzierten Betrachtung.
Ausgangspunkt der Überlegung, ob Legal-Tech-Unternehmen mit Einzelanwälten in Konkurrenz stehen, ist die Suche eines überschneidenden Tätigkeitsfeldes mit einem vergleichbaren Leistungsangebot.
Wenn Legal-Tech-Unternehmen beispielsweise die prozessrisikolose Geltendmachung von Ansprüchen von Zug- oder Flugverspätungen anbieten, so begrenzt sich die Tätigkeit aufgrund der Beschränkungen durch das Rechtsdienstleistungsgesetz auf die außergerichtliche Geltendmachung von Forderungen, ggf. inklusive der Abgabe von rechtsgestaltenden Willenserklärungen.
Kommt es zur gerichtlichen Geltendmachung von Forderungen, so bedarf es der Inanspruchnahme eines Rechtsanwaltes. Der Tätigkeitsbereich von Legal-Tech-Unternehmen ist mit der Geltendmachung und Durchsetzung von Ansprüchen kleiner als der von Rechtsanwälten. Gleichzeitig besteht jedoch für Legal-Tech-Unternehmen die Möglichkeit, als Prozessfinanzierer tätig zu werden. Dies ist Rechtsanwälten berufsrechtlich untersagt.
Eine Überschneidung liegt damit in der außergerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen für den Mandanten / Kunden vor. Beide, Legal-Tech-Unternehmen wie Rechtsanwalt, bieten diese Rechtsdienstleistung an und stehen damit in einem grundsätzlichen Wettbewerb zueinander, aber eben nur im Hinblick auf die außergerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen.
2. Der Kunde entscheidet
Allerdings dürfte diese Betrachtung zu kurz sein, wenn man bedenkt, dass es sich hierbei um eine reine Tätigkeitsbeschreibung handelt. Es ist der “Dienstleistungskern”, der zwar dem Grundsatz nach das Wettbewerbsverhältnis zwischen Legal-Tech-Unternehmen und Rechtsanwalt begründet, der an sich jedoch noch nicht geeignet ist ein wettbewerbsbeeinflussendes Differenzierungsmerkmal herbeizuführen.
Denn Wettbewerb reduziert sich nicht auf das Angebot identischer Dienstleistungen, sondern begründet sich gerade in den unterschiedlichen Angeboten. Ein Wettbewerber kann sich dadurch etablieren, dass er besonders schnell, kundenfreundlich, kompetent, kulant, vielfältig, nahbar, abwechslungsreich etc. ist. Und erst hier setzt auch die Differenzierung zwischen Legal-Tech-Unternehmen und Einzelanwalt an.
Während ein Einzelanwalt in der Lage ist, ein langjähriges persönliches Vertrauensverhältnis zu seinem Mandanten zu etablieren und damit über fachliche Aufgaben hinweg auch emotionale Aspekte abdecken kann, wird ein Legal-Tech-Unternehmen derartige Aspekte nur mit deutlich mehr Aufwand – wenn überhaupt – abdecken können. Umgekehrt steht einem Legal-Tech-Unternehmen technologiebasiert und mangels vergleichbarer berufsrechtlicher Regelung mittels Prozessfinanzierung und Erfolgshonorarvereinbarung die Möglichkeit offen, Kunden schnell und ohne Prozesskostenrisiko zu ihrem Recht zu verhelfen.
Entscheidend ist – eine ökonomische Selbstverständlichkeit – die Nachfrage und nicht das Angebot. Wünschen sich Rechtssuchende eine möglichst schnelle und kostenfreie Durchsetzung ihrer Ansprüche und sind sie hierfür bereit, tendenziell auf einen persönlichen, langfristigen Berater zu verzichten, ist der Ansatz der Kritik an Legal-Tech-Geschäftsmodellen der falsche. Legal-Tech-Unternehmen sind keine Gefahr für rechtsstaatlichen Grundprinzipien oder eine unabhängige Rechtsberatung, sondern sie verhelfen Rechtssuchende – im Rahmen der von ihnen gesetzten Anforderungen an die Rechtsberatung – zu ihrem Recht. Besser kann Rechtsberatung dem Grunde nach nicht funktionieren.
3. Verdrängt oder ergänzt?
Was bei noch einmal betont werden muss, weil es von Kritikern gerne übersehen wird: in vielen Bereichen hat der Rechtsanwalt auch weiterhin eine Monopolstellung. Die gesamte gerichtliche Vertretung / Verteidigung bleibt Rechtsanwälten überlassen. Konkurrenz verbleibt lediglich bei der eigenständigen außergerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen. Dies dürfte die Sorge einer Verdrängung schon einmal in einem deutlich skeptischeren Lichte dastehen lassen.
Entscheidend für die Zukunft von Einzelanwälten im außergerichtlichen Bereich dürften zwei Dinge sein:
- Wie wichtig ist es Mandanten auch in der Zukunft einen persönlichen, vis-a-vis ansprechbaren Rechtsanwalt für die eigenen Rechtsprobleme zu haben.
- Wie weit werden Einzelanwälten die technologischen Vorteile der Nutzung im eigenen Geschäftsfeld zugänglich gemacht werden.
Denn wenn es wie vom Deutschen Anwaltsverein heißt, dass der klassische Einzelanwalt an Boden verliere, weil es Legal-Tech gibt, impliziert dies ein gegensätzliches, unauflösliches Spannungsverhältnis. Dies muss jedoch keinesfalls gegeben sein, denn gerade die symbiotischen Kräfte zwischen effizienter und kostengünstiger Technik und einem persönlichen, tröstenden Ansprechpartner in Krisen – Kriterien, die aktuell weder Legal-Tech-Unternehmen noch Rechtsanwalt vollständig vereinen können – als “(g)lokales Legal Tech“, können völlig neue Wettbewerbsaspekte zugunsten der Einzelkämpfer eröffnen. Denn während Einzelanwälte ihren Arbeitsalltag um Technologie ergänzen können, wird es Legal-Tech-Unternehmen nicht ohne Weiteres gelingen, emotionale Betreuung:
Warum geht man zu einem Anwalt? Damit er einem die Hand auf die Schulter legt und sagt: ,Alles wird gut.’
Unerlässliche Voraussetzung für den wirtschaftlich erfolgreichen Fortbestand von Einzel- und Kleinkanzleien ist damit aber die aktive Auseinandersetzung mit dem Thema Legal-Tech und die Aufgeschlossenheit gegenüber neuen wie ergänzenden Technologien bei der Akquise, Kommunikation und Mandatsbearbeitung.
Denn nicht nur bei der Jagd gilt:
Den letzten fressen die Hunde.
Der Autor, Tim Platner, ist Geschäftsführer der Legal Data Technology GmbH.