Es könnte für die Entwicklung von Legal Tech Lösungen ein wegweisendes und weitreichendes Urteil werden: Am 16.10.2019 verhandelt der Bundesgerichtshof über eine Entscheidung des Landgerichts Berlin, welche die von der LexFox GmbH betriebene Plattform ,,wenigermiete.de” und ihre Vereinbarkeit mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) betrifft.
Der Fall
Ausgangsfall ist das Dienstleistungsangebot der LexFox GmbH auf ,,wenigermiete.de”, über einen Online-Rechner prüfen zu lassen, ob die eigene Wohnraummiete mit der ,,Mietpreisbremse” vereinbar ist oder nicht.
Die Idee: ermittelt der Online-Rechner, dass der Mieter zu viel Miete zahlt, kann er seinen Fall in die Hände der LexFox GmbH legen. Die LexFox GmbH, die Inkassodienstleister im Sinne des § 10 Abs.1 S. 1 Nr.1 RDG ist, erhebt sodann die für die Geltendmachung der Bereicherungsansprüche zwingend notwendige Rüge gemäß § 556g Abs. 2 BGB und macht die Ansprüche auch, soweit erforderlich, im eigenen Namen gerichtlich geltend. Der Mieter tritt die Forderung an die LexFox GmbH antizipiert ab, die LexFox GmbH wird damit als Zessionar Forderungsinhaber.
Das Problem
Ausgangspunkt für das Verfahren vor dem BGH ist eine vom Landgericht Berlin getroffene Entscheidung, dass der LexFox GmbH als Klägerin die Aktivlegitimation fehle. Diese Entscheidung ist eine von mehreren, divergierenden Entscheidungen des Landgerichts Berlin über das Geschäftsmodell der LexFox GmbH. Begründet wird das Fehlen der Aktivlegitimation, also das Recht, im eigenen Namen klagen zu können, damit, dass die LexFox GmbH die Grenzen des Rechtsdienstleistungsgesetz überschreite und damit die Abtretung der Forderung gemäß § 134 BGB i.V.m. mit den §§ 2 Abs.1, 3, 5, 10 RDG nichtig sei.
Die erkennende Kammer geht nämlich davon aus, dass das Angebot der LexFox GmbH ,,wenigermiete.de” eine Rechtsberatung darstelle, welche die Inkasso-Erlaubnis überschreite. Denn die automatisierte Ermittlung, ob eine Überschreitung des Mietspiegels vorliegt, sei nicht ,,bloßes Rechenwerk” sondern erfordere eine Subsumtion unter Berücksichtigung individueller Besonderheiten des jeweiligen Falles. Dies sei jedoch eine Rechtsberatung und als wesentliches Angebot von “wenigermiete.de” nicht lediglich eine erlaubnisfreie Nebentätigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 RDG. Es handele sich dabei insbesondere nicht um eine vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich gebilligte Rechtsberatung als Nebentätigkeit im Rahmen der Inkassotätigkeit, beispielsweise im Rahmen einer Prüfung von möglichen Einwänden gegen die Forderung, da die Forderung zum Zeitpunkt der Rechtsberatung durch den Online-Rechner noch gar nicht entstanden ist, weil diese von der durch die LexFox GmbH noch zu erhebenden Rüge abhängig ist.
Dieses Erfordernis, also dass die als Inkassodienstleister geltend zu machende Forderungen erst noch durch die Rüge entstehen muss, sei maßgebliches Abgrenzungskriterium zu anderen, gebilligten Geschäftsmodellen, namentlich denen privatärztlicher Abrechnungsstellen. Der Umstand, dass sich die Rüge nicht in einer rein formalisierten Beanstandung des Mietzinses erschöpft sondern an den individuellen Sachverhalt anknüpfen muss – was ein rechtlich anspruchsvolles Unterfangen darstelle -, betone zusätzlich den rechtsberatenden Charakter.
Im Ergebnis bedeutet das im Fall von ,,wenigermiete.de”:
- Das Geschäftsmodell stelle nicht auf die Durchsetzung der Ansprüche aus der “Mietpreisbremse” als Inkassodienstleistung sondern auf eine rechtsberatene Tätigkeit auf Grundlage des Online-Rechners ab und ist deshalb auch nicht ein zulässiges Nebengeschäft i.S.d. § 5 RDG. Diese automatisierte Rechtsberatung sei das maßgebliche Geschäft.
- Die Rüge als ausgeübtes Gestaltungsrecht sei ebenfalls nicht mehr von der Inkassoerlaubnis gemäß § 10 Abs. 1 S. 1 Nr.1 RDG gedeckt, da die Rüge die Forderung erst entstehen lässt, die Inkassotätigkeit jedoch auf die Durchsetzung von Ansprüchen abstelle.
Ein Grundsatzproblem?
Nun könnte man anführen, die auf ,,wenigermiete.de” angebotenen Dienstleistungen seien in der Kombination aus komplexer Ermittlung von individuellen Ansprüchen durch einen Online-Rechner, der Ausübung von Gestaltungsrechten, die die Forderungen erst entstehen lässt und der treuhänderischen Abtretung der Forderungen besonders problematisch und deshalb von nur untergeordneter Bedeutung für andere Geschäftskonzepte im Legal Tech-Bereich. Damit würde jedoch der wesentliche Streitgegenstand verkannt werden:
Die streitentscheidende Frage ist, ob eine schematische Abfrage von Daten über einen vollautomatisierten Prozess und die sich daran anschließenden, automatisierten Schlussfolgerungen – besser: Subsumtionsergebnisse – eine Rechtsberatung darstellen und falls ja, ob dies ein zulässiges Nebengeschäft im Sinne des § 5 RDG ist.
Diese Frage ist jedoch für eine Vielzahl an denkbaren, anderen Legal Tech Geschäftskonzepten von erheblicher Bedeutung, führt sie doch im schlechtesten Fall – wie von der erkennenden Kammer angenommen – zu einer Nichtigkeit der Forderungsabtretung und damit zu einer fehlenden Aktivlegitimation.
Dass die von der Kammer vorgenommene Schlussfolgerung, von einem Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz – unterstellt man, dass dieser vorliegt – auf eine Nichtigkeit der Abtretung zu schließen, nicht zwingend ist, stellt Dr. Dr. Alexander Morell in seinem Beitrag in der NJW 2019, 2574ff. überzeugend dar. Der Beitrag wird in den nächsten Tagen vorgestellt.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in der causa LexFox hat damit grundsätzliche und weitreichende Bedeutung für die gesamte Legal Tech Branche. Das ein mancher enthusiastischer Legal-Tech-Pionier – so jedenfalls die Erfahrung des Autors – derartig diffizile juristische Erwägungen, insbesondere in der Anfangszeit, unberücksichtigt lässt, kann für sein Geschäftskonzept u.U. fatale Folgen haben. Deshalb heißt es: Die Verhandlung und das Ergebnis in Sachen LexFox genau beobachten und frühzeitig hierauf reagieren. Wir werden am Verhandlungstermin vor dem Bundesgerichtshof am 16.10.2019 vor Ort sein und unmittelbar von der Verhandlung berichten.
Das Team rund um die LexFox GmbH dürfte sich übrigens derartige Sorgen nicht machen müssen, hat es doch erst vor wenigen Tagen eine Finanzierungsrunde mit einem Millionenbetrag erfolgreich beenden können.
Der Autor, Tim Platner, ist Geschäftsführer der Legal Data Technology GmbH.